Gänsehaut im Parque Nacional Serra da Capivara

Nach einer Woche entlang der Küste des Nordosten Brasiliens machten wir uns auf die über 2.000 Kilometer lange Strecke Richtung Brasilia. Nach einem unspektakulären Nachtlager in einem Hotel in Teresina wollten wir am zweiten Tag der Rückreise noch einen Nationalpark ungefähr auf der Hälfte des Heimwegs erreichen. Auf der Fahrt dorthin kreuzten wir eine riesige Anbaufläche von Eukalyptusbäumen.

Der Anbau von Eukalyptusbäumen ist hinsichtlich seiner ökologischen Nachhaltigkeit umstritten.

Gegen Abend erreichten wir unser Ziel: einen Campingplatz am Rande des Parque Nacional Serra da Capivara.

Der Park ist bekannt für seine Höhlenmalereien, die vor 12.000 bis 6.000 Jahren von Steinzeitmenschen angefertigt wurden. Zudem wurden auch Überreste von Feuerstellen entdeckt, die bis zu 50.000 Jahre alt sein sollen. Um die Feuerstellen herum wurden versteinerte Exkremente gefunden, die Überreste von Parasiten enthalten, die zu der Zeit nicht in Südamerika vorgekommen sein sollen. Daraus schließt ein Teil heutiger Forscher, dass bereits zu dieser Zeit Menschen diesen Kontinent besiedelt haben. Dieser Schluss ist jedoch sehr umstritten und widerspricht der relativ gesicherten These, dass Amerika von Norden über die Beringstraße vor circa 15.000 Jahren besiedelt wurde.

Seisa, die Pächterin des Campingplatzes, entpuppte sich nicht nur als äußerst nette Gastgeberin, sondern auch als studierte Historikerin und gut ausgebildete Nationalparkführerin. Mit ihr zogen wir am darauffolgenden Tag los, um den Park zu erkunden.

Die Höhlen- bzw. Wandmalereien liegen unterhalb von Gesteinsformationen aus Meeresboden und Sedimentablagerungen, die durch Erosion gebildet wurden.

Die Wandmalereien liegen geschützt vor Sonne und Regen unter Felsüberhängen. Sie stellen Jagd-, Sex-, Tanz- und Ritualszenen dar.

Die Bilder vermitteln nur bedingt den Eindruck, den man bekommt, wenn man an Ort und Stelle davor steht. Man muss die Hitze und die Abwesenheit von Schatten und Wasser am eigenen Leib erfahren, um zu verstehen, warum sich unsere Vorfahren genau an diesem Platz getroffen haben, um Geschichten auszutauschen und Partys zu feiern. Vor 12.000 Jahren, gegen Ende der letzten Kaltzeit, war der Ort noch sehr grün und von Wasserläufen durchzogen. Für die Menschen, die als Nomaden ihren Beutetieren hinterherzogen, müssen die schattigen und vor Regen geschützten Plätze mit Wasser und Früchten wie ein Paradies erschienen sein, das sie regelmäßig aufsuchten.

Ich bekam beim Betrachten der Kritzeleien eine Gänsehaut. Menschen, die seit Tausenden von Jahren tot waren, kommunizierten mit mir. Sie teilten mir mit, wie ihr Arbeitsalltag aussah, wie sie Feste feierten und welche sexuellen Vorstellungen sie hatten. Obwohl der Ort heute ausgetrocknet und karg erschien, konnte ich beinahe fühlen, wie ihre Welt ausgesehen haben muss. Zu diesen Menschen, die reisten und darüber berichteten, empfand ich eine tiefe Verbindung, für die der zeitliche Abstand – egal in welcher Menge – nebensächlich war.

Schlussendlich schützt der Nationalpark nicht nur die geologisch interessanten Gesteinsformationen und die prähistorischen Relikte, sondern auch Flora und Fauna.

Zurück auf dem Campingplatz reparierten Andreas und ich den Deckel des Wasserreservoirs und besserten gleich noch das Dach darunter aus.

Reparatur Wasserreservoir

Gegen Sonnenuntergang führte uns Seisa, die unsere Schwindelfreiheit unweigerlich erkennen musste, zu einem 200 Meter hohen Felsaufstieg über Eisenleitern, die Beatrix, Andreas und ich beim letzten Tageslicht erklommen.

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