Neues aus Brasilistan

Die Geschehnisse in Brasilien entwickeln sich zu einem Politkrimi, den man sich als Schriftsteller kaum besser ausdenken kann.

Ein Ex-Politiker und Ex-Ölmanager mit dem wohlklingenden Namen José Sérgio de Oliveira Machado hat im März, kurz vor dem Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff, konspirative Gespräche mit denjenigen, die das Verfahren gegen die mittlerweile suspendierte Präsidentin betrieben haben, geführt und auch heimlich aufgezeichnet. Er tat dies aufgrund eines Deals mit der Staatsanwaltschaft. Gegen ihn laufen Ermittlungen im Lava Jato-Korruptionsskandal.

Seit dem Regierungswechsel steht die Staatsanwaltschaft unter Druck. Der neue Justizminister hat bereits angedroht, dass der oberste Staatsanwalt nicht mehr lange im Amt bleiben wird. Als Reaktion darauf hat die Staatsanwaltschaft anscheinend damit begonnen, die Audiomitschnitte an die Zeitung Folha de S.Paulo zu lancieren. Am Montag veröffentliche die Zeitung die Aufzeichnungen des ersten Gesprächs zwischen Machado und dem neuen Planungsminister Romero Jucá von der PMDB, gegen den seit März 2015 Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht laufen. Jucá bestätigt darin alles, was man bereits vermuten konnte: Das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff ist ein Komplott, um die Strafverfolgung gegen korrupte Politiker zu stoppen. Er sprach von einem Ende des „Blutvergießens“. Dieser Abschnitt, den Jucá geäußert hat, ist besonders brisant:
„Conversei ontem com alguns ministros do Supremo. Os caras dizem ‚ó, só tem condições de [inaudível] sem ela [Dilma]. Enquanto ela estiver ali, a imprensa, os caras querem tirar ela, essa porra não vai parar nunca‘. Entendeu? Então… Estou conversando com os generais, comandantes militares. Está tudo tranquilo, os caras dizem que vão garantir. Estão monitorando o MST, não sei o quê, para não perturbar.”

Übersetzung:
„Ich habe gestern mit einigen Ministern des Obersten Gerichtshofs gesprochen. Die Jungs haben gesagt: ‚Pass auf, es gibt nur Erfordernisse [unhörbar] ohne sie [Dilma]. Solange sie dort [im Amt] ist, wollen die Presse, die Jungs ihr [das Amt] wegnehmen, diese Scheiße wird nie aufhören.‘ Verstehst du? Nun… Ich bin im Gespräch mit den Generälen, den Militärkommandanten. Alles ist cool. Die Jungs sagen ihre Unterstützung zu. Sie überwachen die MST [Movimento dos Trabalhadores – Arbeiterbewegung], was weiß ich, damit sie nicht stören.“

Wie weit ist das Militär in die Machtübernahme verstrickt? Wie wird es sich verhalten, wenn die Proteste der Arbeiterbewegung eskalieren?

Jucá ist mittlerweile seines Ministeramtes entbunden worden.

Heute, am Mittwoch, wurde das zweite von Machado mitgeschnittene Gespräch mit dem Senatsvorsitzenden Renan Calheiros von der PMDB veröffentlicht. Der Senat in Brasilien ist in etwa vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat und entscheidet letztendlich über die Amtsenthebung der zurzeit suspendierten Präsidentin. In dem Gespräch sagt Calheiros, gegen den auch Ermittlungen wegen der Verwicklung in den Lava Jato- sowie einen anderen Korruptionsskandal laufen, dass er eine Gesetzesänderung unterstützt, um die Kronzeugenreglung abzuschaffen. Die Kronzeugenreglung ist das zentrale Mittel, mit dem die Staatsanwaltschaft den Korruptionsskandal aufdeckt. Es ist das Mittel, das Machado dazu bewogen hat, seine alten Kumpels ans Messer zu liefern.

Heute Nachmittag berichtete die Folha de S.Paulo über die Inhalte eines dritten mitgeschnittenen Gespräches zwischen Machado und dem Ex-Staatspräsidenten José Sarney von der PMDB, der von 1985 bis 1990 Präsident von Brasilien war. Ihm wurden während seines Amtes immer wieder Korruption und Unregelmäßigkeiten bei öffentlichen Ausschreibungen sowie Begünstigungen für die Presse im Austausch gegen positive Berichterstattung vorgeworfen. Allerdings wurden die Vorwürfe nie vom brasilianischen Parlament untersucht. 2009 deckte die brasilianische Bundespolizei auf, dass er Zeitungen und Fernsehsender missbraucht hatte, um einen politischen Rivalen anzugreifen.

In dem Gespräch versicherte Sarney seine Unterstützung, dass Machados Fall nicht an den Bundesrichter übertragen wird, und deutete dabei an, dass dies „ohne die Einsetzung eines Anwalts“, also unter der Hand geschehe.

Derzeit jagt in der brasilianischen Presse eine Schlagzeile die nächste über die heimlichen Mitschnitte des Sérgio Machados, welche die Interimsregierung Michel Temers sowie die offizielle Begründung für das Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff vollkommen unglaubwürdig machen. Doch während sich die Nachrichten überschlagen, demontiert die Regierung gerade den Sozialstaat. Vorgesehen sind drastische Kürzungen bis zu 50 Prozent bei Sozialleistung sowie beim öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem.

Es sieht so aus, als ob Brasiliens Demokratie gerade an einem seidenen Faden hängt. Dieser seidene Faden heißt Oberster Gerichtshof, der sich offenbar in vielen Fragen selbst nicht einig ist. Man kann nur hoffen, dass die moralisch Motivierten einen längeren Atem haben als die Geschmierten.

Weiter unten finden sich einige Links zu deutschen Nachrichten zur aktuellen Entwicklung in Brasilien. Ich verstehe allerdings nicht, warum deutsche Mainstream-Medien die suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff immer wieder in Verbindung mit dem Korruptionsskandal bringen, obwohl gegen sie keine konkreten Verdachtsmomente vorliegen. Im Gegenteil, die Regierung von Dilma Rousseff hat der Staatsanwaltschaft den Rücken gestärkt und zugelassen, dass selbst Politiker der PT und engste Vertraute angeklagt und verurteilt wurden. Wird hier einfach kritiklos von der tendenziösen Rede Globo-Presse in Brasilien abgeschrieben?

Im Übrigen schweigt Spiegel Online, eine Zeitung, die sich nicht scheut, kurzfristig schlecht recherchierte Meldungen gegen Dilma Rousseff zu veröffentlichen, beharrlich zu den seit Montag galoppierenden Ereignissen in Brasilien. Worauf wartet diese Zeitung? Oder passen die Enthüllungen nicht zu dem Bild, das diese einflussreiche Gazette von der Politik in Brasilien zeichnen will?

Ein Gedanke zu „Neues aus Brasilistan

  1. Krass. Ich kann nur hoffen, dass Brasilien den richtigen Weg einschlägt und hoffentlich nicht vollkommen im Sumpf der Korruption landet. Es wäre schade um das Land

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