Mein erster Tag in Bolivien

Ich sitze mit zwei von drei Autoschraubern in einer Schrauber-WG in einem kleinen Örtchen namens San Ignacio de Velasco 300 Kilometer hinter der Grenze im wilden Bolivien und schaue Fernsehen. Wahrscheinlich sind sie gar keine WG, sondern Vater, Sohn und Onkel. Draußen ist es dunkel. Die Lehmstraßen des Städtchens stauben vor sich hin. Der Toyota steht zwischen mehreren schrottreifen Fahrzeugen auf dem Hinterhof mit aufgebautem Dachzelt. Gleich gehe ich schlafen. Was ist passiert?

Der Tag fing circa 100 Kilometer vor der bolivianischen Grenze in der brasilianischen Stadt Caceres an. Ich verließ das Hotel und folgte der BR-070 – derzeit meine Lieblingsstraße in Brasilien – bis zur Grenze auf einer perfekt ausgebauten Asphaltstraße. Der Verkehr war quasi Null, und der Grenzübergang war supereinfach. Weder auf brasilianischer noch auf bolivianischer Seite gab es Komplikationen, so dass ich innerhalb von 20 Minuten durch war. In der ersten bolivianischen Stadt namens San Martins direkt hinter der Grenze tauschte ich Geld und tankte den Wagen auf. Ich fragte die Tankwärtin, wann die nächste Tankstelle käme, und sie antwortete: In 400 Kilometern. Oops, das habe ich das letzte Mal in Kasachstan erlebt. Dann brach ich weiter Richtung Westen auf.

Drei Dinge fielen mir in diesem Land sofort auf:

  1. Während die Straße in Brasilien viel besser war, als beschrieben, war die Straße in Bolivien absolut erwartungskonform: Eine schlecht gewartete Erd- und Schotterpiste, auf der man 50 bis 80 km/h fahren konnte.
  2. Die Leute sprechen alle Spanisch. Spanisch verstehe ich noch schlechter als Portugiesisch.
  3. Während ich in Brasilien bisher genau drei Mal meinen Pass vorzeigen musste – bei der Einreise, bei meiner Übernachtung auf einem improvisierten Fußballfeld während meiner Reise nach Fortaleza und bei der heutigen Ausreise – , musste ich mich in den ersten vier Stunden in Bolivien an sechs Straßensperren des Militärs und an einer Polizeisperre ausweisen. Was für ein Kontrollstaat!

Bei jeder Militärsperre wurden mein Name, mein Fahrzeug inklusive Nummernschild sowie mein Reiseziel handschriftlich in extra dafür vorgesehene Bücher eingetragen. Ich war fast immer der einzige an den Sperren. Viel Verkehr konnte es hier nicht geben. Bei der Polizeisperre, ganze 250 Kilometer hinter der Grenze, wurde ich von einem Polizisten darüber aufgeklärt, dass ich eine „Declaracion Judical“ für mein Auto bräuchte, und er zeigte mir, wo ich dieses Dokument bekäme, nämlich fünf Häuser weiter die Straße hinunter. Für diesen Service wollte er mit einem freundlichen aber fordernden Lächeln im Gesicht 50 Bolivianos haben, umgerechnet circa sechs Euro. Ok, es gibt in Bolivien also korrupte Bullen.

Der Offizielle bei der Vergabe der Deklaration war äußerst freundlich und korrekt. Ich bekam von ihm ein Dokument, mit dem mein Auto für 30 Tage in Bolivien bleiben darf. Dieser Service kostete übrigens nichts. Auf für die Information, dass ich noch eine Immigrationsstempel in meinem Pass bräuchte, wollte der Beamte kein Geld. Den Stempel würde ich genau in der Stadt bekommen, in der ich jetzt mit den Schraubern vorm Fernseher sitze.

Kurz bevor ich die Stadt erreichte, hielt mich ein LKW-Fahrer auf der Straße an und fragte mich, ob ich ihn bis zur nächsten Tankstelle mitnehmen könnte. Ich willigte ein. An der Tankstelle am Eingang der Stadt fiel ihm beim Aussteigen auf, dass ziemlich viel Öl aus meinem Motor tropfte. Das Öl kam aus einer undichten Ölleitung unterhalb des Turbos. Hmpf. Ich sollte mich daran gewöhnen, dass schlechte Straßen Autos kaputt machen, besonders alte Autos.

Eine Selbstreparatur war ausgeschlossen, da ich ein neues Stück Ölleitung brauchte. Außerdem muss man Masochist sein, wenn man gerne an heißen Motoren herumfummelt. Da es schon dunkel wurde, beschloss ich, in die Stadt zu fahren und mich nach einer Werkstatt durchzufragen. Und dort sitze ich nun in der Schrauber-WG, die mir angeboten hat, den Wagen die Nacht über abkühlen zu lassen, mich in ihrem Bad zu duschen und auf dem Hof zu schlafen. Ich besorgte den Jungs Bier und mir eine bolivianische SIM-Karte. Und jetzt gehe ich ins Dachzelt. Morgen sehen wir weiter. Buenas notes, amigos!

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