Wieder auf der Straße

Da ist es wieder: das Gefühl, in einer Nussschale auf dem Ozean zu treiben. Ungeschützt sämtlichen Gefahren des Reisens ausgesetzt zu sein. Man gibt Sicherheit auf und erhält dafür Intensität. So einfach geht die Rechnung.

Fast schon etwas lustlos bin ich am Montag aufgebrochen. Noch müde von der letzten Reise und mit einem Auto, das eigentlich noch etwas Wartung benötigt, bin ich um 11.30 Uhr losgefahren. Ich blieb bei meinem Plan und folgte der BR-070. Was für eine abwechslungsreiche Straße! Gut ausgebaute, asphaltierte Abschnitte lösten sich mit Schotterstrecken und Wasserdurchfahrten ab. Bisher bin ich mit meiner Entscheidung sehr zufrieden. Die Schotterstrecken sind gut gewartet, so dass man 80 bis 90 km/h darauf fahren kann.

BR-070

Eine Stunde vor Sonnenuntergang begann ich wie auf meiner letzten Reise mit der Suche nach einem Platz für die Nacht. Ich war in einer Gegend, in der sich entlang der Straße eine kleine Fazenda an die nächste reihte. Aus Erfahrung wusste ich bereits, dass sich solche Orte nicht für gute Standplätze eigneten. Auch ein Abstecher in eine Sandstraße führte nur zu weiteren kleinen Fazendas. Ich war schon fast am Verzweifeln, als ich die Einfahrt in eine große Zuckerrohrplantage wahrnahm. Die dort angebrachten Schilder untersagten die Zufahrt nicht, nur Fischen und Jagen war verboten.

Ich fand einen sehr schönen Platz in der Nähe eines kleinen Tümpels, der sogar Schatten gegen die Morgensonne bot. Schatten, der nicht genutzt wird: Das ist in Brasilien ein echter Indikator für dünne Besiedlung.

Bei meinem Abendspaziergang mit dem Hund nahm ich viele Spuren wahr, die auf etwas größere Tiere hindeuteten. Pumas? Eher nicht. Die Form der Abdrücke war dreizackig.

Spuren im Sand

Ich baute das Dachzelt auf, und um 22.30 Uhr bekam ich dann die Auflösung, als der Hund anfing zu knurren. Aus der Richtung des Zuckerrohrfeldes konnte man ein lautes Rascheln hören. Ich richtete mein Kopflicht aus dem Zelt heraus auf die Stelle, von der das Geräusch kam, und tatsächlich: Aus den schilfartigen Gewächsen kroch in fünf Metern Entfernung ein circa 1,50 Meter langes, schwarzes Tier mit einem langen Rüssel heraus. Ein Ameisenbär! Dieser ließ sich von uns kaum stören und tapste gemächlich weiter entlang des Randes des Feldes. Dann war Ruhe für die ganze Nacht.

Zurück in Brasilia

Die letzten beiden Tage der Rückreise waren geprägt von kilometerlanger Fahrt. Einzig die Schönheit und Einsamkeit der Standplätze, die ich bereits auf der Hinfahrt ausgekundschaftet hatte, konnten auch meine Mitreisenden überzeugen.

Die Fotografiererinnen

Gänsehaut im Parque Nacional Serra da Capivara

Nach einer Woche entlang der Küste des Nordosten Brasiliens machten wir uns auf die über 2.000 Kilometer lange Strecke Richtung Brasilia. Nach einem unspektakulären Nachtlager in einem Hotel in Teresina wollten wir am zweiten Tag der Rückreise noch einen Nationalpark ungefähr auf der Hälfte des Heimwegs erreichen. Auf der Fahrt dorthin kreuzten wir eine riesige Anbaufläche von Eukalyptusbäumen.

Der Anbau von Eukalyptusbäumen ist hinsichtlich seiner ökologischen Nachhaltigkeit umstritten.

Gegen Abend erreichten wir unser Ziel: einen Campingplatz am Rande des Parque Nacional Serra da Capivara.

Der Park ist bekannt für seine Höhlenmalereien, die vor 12.000 bis 6.000 Jahren von Steinzeitmenschen angefertigt wurden. Zudem wurden auch Überreste von Feuerstellen entdeckt, die bis zu 50.000 Jahre alt sein sollen. Um die Feuerstellen herum wurden versteinerte Exkremente gefunden, die Überreste von Parasiten enthalten, die zu der Zeit nicht in Südamerika vorgekommen sein sollen. Daraus schließt ein Teil heutiger Forscher, dass bereits zu dieser Zeit Menschen diesen Kontinent besiedelt haben. Dieser Schluss ist jedoch sehr umstritten und widerspricht der relativ gesicherten These, dass Amerika von Norden über die Beringstraße vor circa 15.000 Jahren besiedelt wurde.

Seisa, die Pächterin des Campingplatzes, entpuppte sich nicht nur als äußerst nette Gastgeberin, sondern auch als studierte Historikerin und gut ausgebildete Nationalparkführerin. Mit ihr zogen wir am darauffolgenden Tag los, um den Park zu erkunden.

Die Höhlen- bzw. Wandmalereien liegen unterhalb von Gesteinsformationen aus Meeresboden und Sedimentablagerungen, die durch Erosion gebildet wurden.

Die Wandmalereien liegen geschützt vor Sonne und Regen unter Felsüberhängen. Sie stellen Jagd-, Sex-, Tanz- und Ritualszenen dar.

Die Bilder vermitteln nur bedingt den Eindruck, den man bekommt, wenn man an Ort und Stelle davor steht. Man muss die Hitze und die Abwesenheit von Schatten und Wasser am eigenen Leib erfahren, um zu verstehen, warum sich unsere Vorfahren genau an diesem Platz getroffen haben, um Geschichten auszutauschen und Partys zu feiern. Vor 12.000 Jahren, gegen Ende der letzten Kaltzeit, war der Ort noch sehr grün und von Wasserläufen durchzogen. Für die Menschen, die als Nomaden ihren Beutetieren hinterherzogen, müssen die schattigen und vor Regen geschützten Plätze mit Wasser und Früchten wie ein Paradies erschienen sein, das sie regelmäßig aufsuchten.

Ich bekam beim Betrachten der Kritzeleien eine Gänsehaut. Menschen, die seit Tausenden von Jahren tot waren, kommunizierten mit mir. Sie teilten mir mit, wie ihr Arbeitsalltag aussah, wie sie Feste feierten und welche sexuellen Vorstellungen sie hatten. Obwohl der Ort heute ausgetrocknet und karg erschien, konnte ich beinahe fühlen, wie ihre Welt ausgesehen haben muss. Zu diesen Menschen, die reisten und darüber berichteten, empfand ich eine tiefe Verbindung, für die der zeitliche Abstand – egal in welcher Menge – nebensächlich war.

Schlussendlich schützt der Nationalpark nicht nur die geologisch interessanten Gesteinsformationen und die prähistorischen Relikte, sondern auch Flora und Fauna.

Zurück auf dem Campingplatz reparierten Andreas und ich den Deckel des Wasserreservoirs und besserten gleich noch das Dach darunter aus.

Reparatur Wasserreservoir

Gegen Sonnenuntergang führte uns Seisa, die unsere Schwindelfreiheit unweigerlich erkennen musste, zu einem 200 Meter hohen Felsaufstieg über Eisenleitern, die Beatrix, Andreas und ich beim letzten Tageslicht erklommen.

Parque Nacional dos Lençóis Maranhenses

Wir hatten es schon geahnt: Unser finales Ziel an der Küste, der Parque Nacional dos Lençóis Maranhenses, konnte uns nicht mehr mit Sensationen überraschen. Alles hatten wir auf der Fahrt dorthin an der Küste bereits in irgendeiner Form gesehen. Nur die fast ausgetrockneten Süßwassereinschlüsse in den Dünen waren neu, aber eher unspektakulär.

Bilder, Bilder, Bilder

Vier Mitfahrer gleich viermal mehr Fotos. Eine Auswahl…

Fortaleza:

Der 300-Kilometer-Ritt nach Jericoacoara:

Angekommen in unserer Unterkunft in Jericoacoara:

Eine der Attraktion soll der Sonnenuntergang in Jericoacoara sein, weil er laut Lonely Planet einen Grünstich haben soll. Hatte er aber nicht. Hier die Beweisfotos im Falle einer Geldrückforderung:

Was man den Fotos nie ansieht, ist der Wind, der an der gesamten Küste tagsüber weht.

Weitere Strandimpressionen:

Nach zwei Nächten in Jericoacoara ging es weiter nach Tatajuba, das nur 20 Kilometer weiter westlich den Strand entlag lag:

Ankunft an Dalmiras Bar in Tatajuba:

Der Strand von Tatajuba ist im Vergleich zum 20 Kilometer entfernten Jericoacoara eher unbelebt:

Teil der Rundfahrt durch den Ort war die große Düne von Tatajuba:

Der Dünenlauf im bewegten Bild:

Am Abend dann die erste Übernachtung im Auto vor den Häusern der Fischer:

Der nächste Tag verlief nicht so ganz nach Plan. Eigentlich wollten wir die 300 Kilometer weiter zum Fischerdorf Atins am Rande des Nationalparks Lencois Maranhenses in einem Zug fahren. Doch der Wagen machte uns einen Strich durch die Rechnung. Mittags war plötzlich die Starterbatterie leer. Mithilfe des Multimeters fanden wir schnell heraus, das keine Ladespannung anlag. Grund war ein abgerissenes Kabel, das zur Lichtmaschine, die sich direkt unterhalb der Klimaanlage befand, führte. Offenbar hatten die Mechaniker dieses bei der Reparatur versehentlich getrennt. Mit einer ordentlichen Klemmverbindung war das Problem gelöst.

Später auf dem 35 Kilometer langen Weg von Paulino Neves nach Barreirinhas, der komplett aus Sandstraße bestand, blieben wir mitten in den Dünen ohne Bordspannung liegen. Grund war ein Plus-Kabel, das irgendwann einmal äußerst professionell verbunden wurde (zusammengezwirbelt und abisoliert). Die Isolierung war futsch und die offene Verzwirblung war auf Masse geraten. Das hatte dazu geführt, dass eine Sicherung durchgebrannt war. Auch die Sicherung wurde irgendwann einmal durch einen Eigenbau ersetzt (Lötverbindung). Diese zu reparieren, war relativ leicht, da ich einen Lötkolben sowie 220 Volt an Bord hatte.

Die Verzögerungen führten dazu, dass wir von der Dunkelheit überrascht wurden. Im Dunkeln war die richtige Sandstraße kaum zu finden. Zudem standen uns nach Barreirinhas noch eine Fähre und weitere 35 Kilometer Sandstraße nach Atins bevor. Wir übernachteten auf einer Wiese und fuhren am nächsten Morgen weiter.

Kleiner Eindruck der 35 Kilometer zwischen Barreirinhas und Atins:

Gegen frühen Vormittag kamen wir dann in Atins und unserer Unterkunft an:

Touristenurlaub am Strand von Jericoacoara

Der Wagen war am Mittwochmorgen fertig. Mit funktionierender Klimaanlage und Kupplung fuhren wir die 300 Kilometer von Fortaleza nach Jericoacoara, einem Touristenort 20 Kilometer östlich von Tatajuba. Hier kamen die ganzen Touristen her, die in Dalmiras Bar angekarrt wurden. Jericoacoara ist das vollkommene Kontrastprogramm zu meiner Reise in den Nordosten. Wir haben zwei Zimmer in einer Pousada gemietet und lassen es uns auf einer Veranda mit Hängematten zwischen Palmen sowie Klimaanlagen auf den Zimmern gutgehen. Morgen geht es weiter nach Tatajuba zu Fischers und dann Richtung Nationalpark.

Hier noch ein paar Impressionen aus Fortaleza:

Ich gebe zu, dass mich die Stadt nicht sonderlich beeindruckt hat.

Besuch aus Alemanha

Nachdem ich gestern Sylvia vom Flughafen abgeholt hatte, wollten wir zunächst mit dem Wagen zur Werkstatt, um die Klimaanlage reparieren zu lassen. Auf der Fahrt dahin viel die Kupplung aus. Man konnte das Pedal durchtreten, ohne dass die Kupplung trennte. Wir quälten uns zur nächsten Tankstelle. Dort fand ich heraus, dass die Kupplung hydraulisch betrieben wird. Ich entlüftete das System bestehend aus zwei Druckzylindern und einer Leitung, so dass der Druck zurückkam. Sylvia hatte ein Deja-vu unserer Reise nach Zentralasien und tatsächlich ähnelten sich die Bilder.

Nun steht die Kiste in einer Werkstatt. Dort lassen wir die Druckzylinder ersetzen und die Klimaanlage reparieren. Und wenn der Wagen einmal aufgebockt ist, lassen wir auch noch ein Lenkungsgelenk, dessen Gummikappe einen Riss hat, ersetzen und den Kardan abschmieren. Man sagte uns, dass die Reparaturen in einem Tag erledigt seien. Wir hoffen darauf und haben unseren Aufenthalt im Hotel um einen Tag verlängert.

Gegen Abend trudelten dann Beatrix und Andreas, gezeichnet vom Jetlag, ein.

Besuch aus Alemanha

Heute ist für mich Ruhetag. Ich liege im klimatisierten Hotelzimmer, während Sylvia, Beatrix und Andreas kulturell in Fortaleza unterwegs sind.

Ruhetag im Hotel

Videodurchlauf

Wie angekündigt die Videos der letzten Woche dank WLAN im Hotel in Fortaleza. Wir  beginnen mit einem Überblick des Standplatzes der ersten Nacht der Fahrt an die Nordostküste Brasiliens.

Es folgt eine Dokumentation der ersten Reaktion des Hundes auf das Ziel unserer fünftägigen Fahrt.

Dann zeige ich, wie windig es wirklich am Meer ist.

Mit dem Wind hatte auch der Pelzige zu kämpfen.

Die Fahrt aus Sicht einer Action-Cam (stark verkürzt).

Und zum Schluss ein Sonnenuntergang in voller Länge.

Warten am Flughafen von Fortaleza

Am Sonntag bin ich ungefähr 100 der restlichen 300 Kilometer Richtung Fortaleza gefahren. Dabei habe ich festgestellt, dass die Klimaanlage kaputt ist. So ein Mist! Auf der Fahrt Richtung Norden hatte sich der Kollaps des kühlenden Aggregats bereits durch laute Lagergeräusche angekündigt. Jetzt fahren der Hund und ich mit offenem Fenster. Das ist laut und windig, und mein linker Arm wird von der Sonne verbrannt. Ich konnte Sylvia erreichen und sie bitten, über das Internet einen Klimaanlagenspezialisten in Fortaleza zu suchen. Sie hat zwei gefunden. Hoffentlich lässt sich das Problem schnell beheben.

Mein Standplatz für die Nacht lag auf einer großen Düne hinter einem Windpark. So ein Windpark macht ganz schön viel Wind. Der Hund und ich kauerten uns in den Windschatten hinter dem Wagen.

Da ich Empfang mit meinem Mobiltelefon hatte, konnte ich ein wenig mit Oliver in Deutschland über Whatsapp chatten. Die Welt ist doch unglaublich zusammengerückt, oder? Als ich vor 20 Jahren in Australien war, hat man noch mit Briefen kommuniziert. Telefonieren war ein Heidenakt. Man musste eine öffentliche Telefonzelle finden und eine ganze Menge Münzen dabeihaben, um ein paar Minuten mit der Heimat zu plaudern.

Mitten in der Nacht bin ich dann wach geworden, weil irgendetwas komisch war. Trotz Vollmond war es stockdunkel. Dann erinnerte ich mich daran, dass Sylvia mir erzählt hatte, dass es eine Mondfinsternis geben sollte. Erst konnte ich mich nicht überwinden, mein Bettchen zu verlassen. Als ich dann doch raus musste zum Pinkeln, sah ich noch, wie der Mond halb vom Erdschatten bedeckt war. Ich fragte mich, wie die Menschen früher dieses Phänomen erklärt hatten, als man noch daran glaubte, dass die Sonne sich um die Erde dreht.

Am Morgen genoss ich noch den kühlen Wind und den halb bedeckten Himmel. Im Land des Mangelschattens freut man sich über jedes bisschen Schutz vor der Sonne. Ich starrte mindestens ein Stunde einfach nur auf die schöne und abwechslungsreiche Landschaft. So etwas mache ich sonst nicht. Normalerweise beschäftige ich mich immer mit irgendetwas.

Jetzt stehe ich vor dem Flughafen in Fortaleza und warte auf die Ankunft von Sylvia gegen 13.30 Uhr. Heute Abend kommen dann Beatrix und Andreas an. Ob denen klar ist, in was für anspruchsvolle zwei Wochen sie eingecheckt haben?

Endlich das Meer

Viel passiert in den letzten Tagen. Freitagmittag, nach viereinhalb Tagen Fahrerei bin ich am Meer angekommen. Mein Ziel war das Fischerdorf Tatajuba, das umgeben von Dünenlandschaften ungefähr auf der Hälfte des Weges von Fortaleza zum Parque Nacional dos Lencois Maranhenses liegt. Dorthin zu kommen war ein wenig trickreich. Erst musste ich von der Hauptstraße abbiegen und einige Kilometer auf einer Hoppelstrecke Richtung Ozean fahren. Dann kam ich an einem Ort an, der zwar am Meer lag, jedoch noch einige Kilometer östlich von meinem Ziel lag. Der Weg nach Tatajuba führte bei Flut über eine Sandstraße durch die Dünen. Bei Ebbe nahm man den Highway über den Strand. Dort stieg ich auch das erste Mal aus dem Wagen. Mein erster Eindruck: ganz schön heiß, windig und sandig. Der Hund rastete total aus. Es gibt zwei Dinge, die er abgöttisch liebt: Schnee und den Strand. Ich entledigte mich meiner Klamotten und sprang ins Meer. Das Wasser war pisswarm. Der Atlantik einmal ganz anders. Kein Vergleich zu den Wassertemperaturen in der Normandie.

Während ich beim Trocknen gesandstrahlt wurde, huschten mehrere Strandbuggys mit Touristen im typischen Outfit vorbei. Okay, selbst hier gab es organisierten Tourismus. Ich zog mich wieder an und folgte den Spuren der Buggys, welche nach einigen Kilometern den Strand verließen und landeinwärts führten. An der ersten Strandbar auf einer kleinen Düne hielt ich an. Die Bar war vollkommen leer. Nur eine lächelnde ältere Frau stand hinter der Theke. Ich stieg aus und begrüßte sie mit einem Kommentar über die Schönheit des Ortes. Die Frau hieß Dalmira und war sehr freundlich. Während ich eine obligatorische Kokosnuss – die Getränkeauswahl bestand aus Bier, Wasser und Kokosnuss – ausschlürfte wollte sie mir den Ort erklären. Ich verstand aber nur die Hälfte. Als sie das erkannte, fragte sie mich, ob ihr Sohn mir den Ort zeigen sollte. Ich müsste sie nur zu ihm fahren. Ich willigte ein, und wir fuhren zusammen ungefähr einen Kilometer über eine Sandstraße in eine kleine Ansiedlung. Ihr Sohn hieß Chaga und war Fischer. Auch er war sehr freundlich und zog sich erst einmal feinere Klamotten an, bevor er auf dem Beifahrersitz platznahm. Während Dalmira zurück zu ihrer Strandbar lief, fuhren Chaga und ich durch die Dünen. Es gab ausschließlich Sandstraßen, die teilweise sehr versandet waren. Für mich war es das erste Mal, dass ich mit einem Allradfahrzeug über sehr lockeren Sand fuhr. Während unserer einjährigen Reise nach Zentralasien hatte ich mit unserem alten VW LT mit Hinterradantrieb immer gehörigen Respekt vor diesem Untergrund, da wir uns mehrfach festgefahren hatten. Jedes Mal bedurfte es viel Zeit und Schweiß, uns mit Schaufel, Wagenheber und Sandblechen zu befreien. Doch der Toyota ließ sich einfach nicht vom Sand beindrucken. Immer, wenn wir nicht mehr weiterkamen und die Reifen schon tief im Sand steckten, reichte es aus, die Geländeuntersetzung einzulegen und uns in kleinem Gang mit viel Drehzahl freizuwühlen. Ich war begeistert. Nicht so begeistert war ich davon, dass der Motor an einer Stelle in tiefem Sand vollkommen überhitzte und sogar ausging. Ich dachte schon, ich hätte ihn geschrottet und bekam ein sehr mulmiges Gefühl im Magen. Doch nachdem wir fünf Minuten gewartet hatten, sprang er wieder an, und ich fand heraus, dass das Antriebsaggregat bei viel Schlupf hohe Drehzahlen benötigt, um nicht zu überhitzen. Der Ventilator hinter dem Kühler hängt über eine Viskosekupplung an der Nockenwelle und dreht dadurch nur mit hohen Umdrehungen, wenn der Motor hoch dreht. Nachdem ich das verstanden hatte, legte ich auf losem Untergrund stets einen kleinen Gang ein und siehe da, die Motortemperatur blieb im grünen Bereich, auch bei Vollgas.

Trotzdem kehrten wir um. Wir hatten das Fischerdorf gesehen, in dem es bereits Ansätze von touristischer Infrastruktur gab, eine große Wanderdüne sowie mehrere Strandbars. Wieder beim Haus von meinem Fremdenführer Chaga angekommen, fragte ich ihn, ob er für seine Führung eine Entlohnung haben möchte. Er bejahte dies, und als ich ihn fragte, wieviel er möchte, sagte er, soviel ich will. Ich gab ihm 24 Real. Soviel hatte ich noch an kleinerem Geld im Portemonnaie.

Nachdem ich mich verabschiedet hatte, war ich ganz durch von der vielen Fahrerei. Ich suchte mir einen Platz am Strand unterhalb der Bar von Dalmira zum Übernachten.

Übernachtungsplatz

Kurz vor Sonnenuntergang kam Chaga mit seinem Moped vorbei. Sein kleiner einjähriger Sohn saß vorne auf dem Tank. Das Moped war hier die Familienkutsche. Während des Tages hatte ich ganze Familien – Mann, Frau und zwei Kinder – auf einem Moped durch den Sand fahren sehen. Chaga bot mir an, an seiner Strandhütte zu übernachten. Diese hatte ich schon beim Abendspaziergang gesehen. Doch bei Flut war sie vollkommen vom Festland abgeschnitten und dabei wäre mir unwohl gewesen. Dann sagte er mir noch, dass es kein Problem sei, am Strand zu übernachten. Die Menschen, die in dem Ort wohnten, seien alles seine Freunde.

Die Nacht verlief sehr ruhig. Am nächsten Morgen wanderte ich durch den Ort und durch die Dünen. Ich wollte die Infrastruktur genauer verstehen. Am Vortag waren wir während der Führung über so viele Wege gefahren, dass ich ständig die Orientierung verloren hatte. Tatsächlich stellte sich heraus, dass die Sandwege variabel von Ebbe und Flut abhängig waren. Eine ganze Reihe an Wegen war nur bei Ebbe befahrbar. Nach der Wanderung kam ich auf dem Rückweg an Dalmiras Bar vorbei und ich fragte sie, ob ich mich mit meinem Wagen neben die Bar stellen durfte. Sie willigte ein, und ich stellte mich unter einem Baum neben die Bar in den Schatten. An diesem Tag war Dalmira nicht allein. Ein älterer Mann – offenbar ich Ehegatte – sowie mehrere junge Männer – offenbar weitere Söhne – und Kinder – offenbar ihre Enkel – waren bei ihr. Auch die gegenüberliegende Strandbar, die am Vortag verlassen war, war mit Personal besetzt, jedoch weit und breit außer mir keine Kunden. Ich setzte mich an einen Tisch und bestellte eine Kokosnuss und ein Wasser für den Hund. Dann saßen wir alle da und schwiegen. Seltsame Stimmung, dachte ich mir. Es lag etwas von Spannung in der Luft, als ob in Kürze etwas passieren würde. Und tatsächlich, erst kam ein Buggy mit zwei typischen weißhäutigen Touristen mit der obligatorischen Kamera vor dem Bauch. Sie tranken etwas, und man bot ihnen Girlanden aus Fischschuppen und Holz an. Dalmira erzählte hinter der Theke mit einem Wellensittich auf der Schulter eine Geschichte über den Ort und die Kirche, die von einer großen Wanderdüne zerstört worden war. Dann fuhren vier Toyota Pickups mit jeweils 8 Touristen an Bord vor. Auf einmal war ein Riesenbohei. Es wurde Bier getrunken, Fotos gemacht, Souvenirs gekauft und auf Eseln geritten. Dalmira spulte immer wieder ihre Geschichte ab. Ich verzog mich in eine Ecke und verstand plötzlich ihr Geschäft. Wahrscheinlich bekamen die Fahrer der Wagen von ihr Geld, damit sie die Touristen bei ihr abluden.

Nach der dritten Ladung Touristen verzog ich mich ins Auto und ruhte mich aus. Als ich gegen Nachmittag nach einem Nickerchen wach wurde, war man dabei, die Bar aufzuräumen. Die Touristen waren verschwunden. Ich wollte meine Getränke vom Vormittag bezahlen, wurde aber von Dalmira eingeladen. Wir unterhielten uns noch ein wenig, während die Kinder mit Loukas spielten. Dann bot sie mir an, für die Nacht das Haus neben dem ihrer Mutter zu nutzen. Das würde leer stehen. Ich willigte ein, und als man fertig mit Einpacken war, fuhren sie und ihr Mann mit dem Moped voraus, und ich nahm drei Kinder im Auto mit.

Wir kamen wieder zu dem Haus, wo ich am Vortag ihren Sohn Chaga getroffen hatte und wir die Führung begonnen hatten. Ich durfte mit in das einstöckige Haus, das für unsere Verhältnisse unglaublich spartanisch eingerichtet war. Chaga lag mit seinem kleinen Sohn in der Hängematte und schaute fern. Das Bild war vollkommen verrauscht und kaum zu erkennen. Ich fragte ihn, wie das Fischen war, und er entgegnete, dass heute Samstag wäre und er am Wochenende nicht arbeiten, sondern in die Kirche gehen würde. Er sei Evangelikaler. Früher hätte er viel Alkohol getrunken und hätte sein Leben nicht im Griff gehabt, doch seitdem er religiös sei, verliefe sein Leben besser. Ich fragte ihn, ob der Tourismus das Leben der Familie stark verändern würde, und er sagte, dass sie viel mehr Geld mit der Bar und dem Verkauf der selbstgemachten Girlanden verdienen würden als mit dem Fischen. Mir wurde klar, dass diese Menschen derzeit eine große Veränderung durchmachten. Vor 20 bis 30 Jahren war das Leben an diesem Ort offenbar noch wie im Mittelalter. Jetzt gab es Strom, eine lukrative Einkunft und scheinbar auch eine akzeptable gesundheitliche Versorgung.

Das Haus hatte noch drei weitere Zimmer, in denen sich noch eine unübersichtliche Anzahl von Menschen – Erwachsene und Kinder – befanden. Später fand ich über Francisco, einem weiteren Sohn Dalmiras, heraus, dass sie neun Kinder zur Welt gebracht hatte. Drei davon seien schon als Baby verstorben, so dass sie sechs Geschwister seien. Ein nicht geringer Anteil davon lebte mit wiederum eigenen Kindern in dem Haus. Chaga fragte mich, ob ich mich waschen wollte, und als ich die Frage bejahte, zeigte er mir das Badezimmer. Es bestand aus einem Klo mit einer Sickergrube darunter und zwei Bottichen Wasser. Ich überlegte, mich zu überwinden, doch dann fragte ich, ob ich einfach nur Wasser haben könnte. Schließlich hatte ich eine Solardusche. Chaga führte mich zu dem Brunnen hinter dem Haus, wo die Palmen standen, deren Kokosnüsse sie in der Bar verkauften. Über eine elektrische Pumpe und einen Schlauch pumpten wir Wasser in den Beutel meiner Solardusche. Dann wurde ich noch in das Haus der Großmutter geführt, die im Nebenhaus in einem Zimmer mit einem Bett und einem Fernseher lebte. Das Haus daneben, das zwei Zimmer hatte, wurde mir angeboten. Darin befand sich nichts. Es handelte sich quasi um einen Rohbau. Doch ich holte aus dem Auto das Klo, den Kocher und die Gasflasche sowie Stühle und den kleinen Tisch. Dann machte ich mir die erste warme Mahlzeit auf der Reise. Am Abend ging ich wieder spazieren und genoss den Ausblick auf der großen Wanderdüne.

Während der ganzen Zeit kam ich nicht auf die Idee, ein einziges Foto von der Familie oder dem Inneren der Häuser zu machen. Mir war klar, dass hier eine echte Begegnung stattfand. Dalmira hatte erkannt, dass ich kein Tourist, sondern ein Reisender war, dem es an echten Eindrücken gelegen war. Und sie hatte sich ihre Gastfreundlichkeit trotz der vielen Touristen bewahrt. Als ich von meinem Abendspaziergang zurückkam, erzählte sie mir davon, dass vor einiger Zeit einmal ein chilenischer Reisender, der mit dem Fahrrad unterwegs und völlig dehydriert in ihrer Bar angekommen war, für drei Monate bei ihnen gelebt hätte. Offenbar hatte auch sie ein Interesse an echten menschlichen Begegnungen.

Heute Morgen habe ich mich von der Familie vorerst verabschiedet. Ich bin auf dem Weg Richtung Fortaleza, um dort Sylvia, Beatrix und Andreas vom Flughafen abzuholen.