Unabhängigkeitstag

Am 07. September 1822 erklärte Pedro I., Sohn des portugiesischen Königs João VI., die Unabhängigkeit Brasiliens von Portugal. Das Land feiert dieses Ereignis mit einer alljährlichen Parade seiner Streit- und Zivilkräfte. Soldaten, Feuerwehrleute, Polizisten und Sondereinsatzkräfte marschieren im Gleichschritt über einen abgesperrten Teil des Plano Piloto. Allen voran fährt der Präsident bzw. die Präsidentin in einem offenen Rolls Royce. Die aktuelle Präsidentin Dilma Rousseff hat dieses Jahr jedoch wegen ihrer miesen Zustimmungswerte in der Bevölkerung von 8 Prozent gekniffen und ist vorzeitig aus dem Wagen ausgestiegen. Zu sehen war nur der Wagen mit dem Fahrer, während die Zuschauer bei jeder namentlichen Erwähnung ihres Staatsoberhauptes, das sie noch vor knapp einem Jahr wiedergewählt haben, mit lautstarken Buhrufen reagierten.

Als Fremder in einer anderen Kultur sieht man die Zusammenhänge einer Gesellschaft vielleicht deutlicher, als wenn man in ihr aufgewachsen ist. Dilma Rousseff wurde von ihrem Volk zum Sündenbock für die aktuelle wirtschaftliche Krise und für einen Korruptionsskandal erklärt, an dem sie persönlich nicht beteiligt ist und der alle politischen Parteien des Landes betrifft. Die Ursache der Krise ist primär auf den schlechten Absatz von Eisenerz und Öl zurückzuführen. Der größte Abnehmer des Eisenerz ist China, das sich selber gerade in einer Krise befindet. Der niedrige Ölpreis trifft Brasilien, da es seit 2006 Exporteur von Rohöl ist. Zudem ist die wirtschaftliche Krise Nordamerikas und Europas überwunden, so dass Investitionskapital wieder vermehrt dorthin anstatt in Schwellenländer fließt. Die sekundäre Ursache liegt in der mangelnden Industrialisierung und im schlechten öffentlichen Bildungssystem des Landes gepaart mit korrupten politischen Strukturen begründet. Dass ausgerechnet Dilma Rousseff die Korruption in dem Land bekämpft, hilft ihr herzlich wenig, wenn sie die konservativ geprägte Medienlandschaft – allen voran das Unternehmen Rede Globo – gegen sich hat. Als Außenstehender erschaudert es mich, wenn diejenigen Menschen, die von einer linksgerichteten Politik, die Mindestlöhne und kostenlose medizinische Versorgung einführt, profitieren, dermaßen von rechtsgerichteten Medien beeinflusst werden, dass sie sich gegen diese Politik stellen. Hier in Brasilien wird mir dieser Effekt durch meine Perspektive noch bewusster als daheim in Deutschland, wo ähnliche Strukturen walten.

Die Parade selbst hatte zum Teil realsatirische Züge, da sie an manchen Stellen eher an einen Karnevalszug erinnerte. Tanzende Funkenmariechen, Motorradartisten, marschierende Politessen in Stöckelschuhen, Waffen und Fahrzeuge aus dem ersten Weltkrieg, an dem sich Brasilien nicht beteiligt hatte, sowie aus dem zweiten Weltkrieg, in dem 500 Brasilianer gefallen sind: Das alles konnte man nur schwer ernst nehmen. Doch der frenetische Jubel für Soldaten und Polizisten hinterlässt bei mir auch einen faden Nachgeschmack, insbesondere wenn aktuell in Brasilien wieder Stimmen laut werden, die ein Eingreifen des Militärs in die Politik fordern. 1964 putschte das brasilianische Militär mit Unterstützung der CIA gegen den linksgerichteten Präsidenten João Goulart und blieb bis 1985 an der Macht.

Es stimmt mich traurig, wenn in einem Land, in dem die Unterschiede zwischen Arm und Reich noch viel extremer sind als in Deutschland, das in dieser Beziehung bereits an der Spitze Europas steht, jegliche Bestrebungen für einen Ausgleich in der Gesellschaft von den rechtskonservativen Medien regelrecht bekämpft werden und der Politik ein Eingreifen durch das Militär droht. Was Brasilien benötigt, ist sozialer Ausgleich sowie Bildung und gleiche Chancen für alle. Gewalt sollte das letzte Mittel sein, um eine staatliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Denn mündige Bürger erhält man nicht, in dem man ihnen Gleichschritt beibringt.

Fotostrecke:

Testschlafen im Auto

Schlafen im Auto

Die erste Nacht auf dem Schlafplatz im Auto war recht erhellend. Obwohl die Liegefläche fast 2 Meter lang und 1,40 Meter breit ist, also in etwa den Platz bereitstellt, den das Dachzelt bietet, ist der subjektive Eindruck ein eher beengter. Nach oben ist halt nicht viel Luft. Man kann eben nur darin schlafen und sonst nichts anderes. Zudem war die Matratze mit 3 Zentimetern zu dünn, so dass wir sie jetzt mit einer 5 Zentimeter dicken ersetzt haben. In zwei Wochen geht die zweimonatige Reise in den Nordosten Brasiliens und nach Bolivien los, auf der etappenweise Sylvia, Andreas, Beatrix und Katja dabei sind.

Ort des Testschlafs war einmal wieder die Chapada dos Veiadeiros, die 250 Kilometer nördlich von Brasilia beginnt. Dort haben wir einen weiteren Wasserfall besucht, den man in diesem Video bewundern kann:

Auch in der Chapada kann man das seltsame Verhältnis der Brasilianer zu Grund und Boden bewundern. Man geht mehrere Kilometer entlang eines kaum befahrbaren Weges, der zu beiden Seiten eingezäunt ist, und gelangt dann zu einem Tor, das unmissverständlich den Wanderer am Weitergehen hindern soll.

Man würde jetzt vermuten, dass  dahinter ein Anwesen liegt mit einem großen Haus und einem Garten oder zumindest eine landwirtschaftliche Nutzfläche. Doch der Blick auf Google Maps bestätigt diese Annahme nicht: https://maps.google.de/maps?q=-14.056506,-47.447037&t=h

Nördlich von dem Tor befindet sich einfach nur ungenutzte Cerrado-Landschaft, genauso wie links und rechts neben der Straße dorthin. Der Grund für die vielen Zäune und Absperrungen: In Brasilien gibt es erst seit 2001 ein Katasteramt für Grundbesitz. Seitdem kann man in Besitz genommene Grundstücke nach fünf Jahren durch Eintragung in das Grundbuch in rechtliches Eigentum überführen. Viele Grundstücke sind also noch gar nicht rechtliches Eigentum oder die Besitzverhältnisse sind nicht geklärt. Für einen Europäer ist so etwas unvorstellbar, aber im Norden von Brasilien ist die Landnahme entlang der Transamazônica noch immer ein ganz normaler Vorgang zum „Erwerb“ von Grundbesitz. Man sagt einfach „Dieses Gebiet gehört mir!“ und macht einen Zaun drumherum. Fertig. Kein Wunder, dass hier alles eingezäunt ist.

Oh Cerrado!

Die relative Luftfeuchtigkeit ist runter auf 28 %. Sylvia hat bereits Probleme mit ihren Lippen. Bis auf die Popel in meiner Nase, die größer und trockener werden, spüre ich noch nichts von der Trockenheit. Vielleicht liegt das daran, dass ich meine Tage nicht in klimatisierten Räumen verbringe.

Das Wetter ist einfach großartig. Tagsüber erreichen die Temperaturen 25 bis 28 Grad. Am Himmel ist keine einzige Wolke zu sehen. Auf den Anhöhen weht stets ein kühler Wind. Nachts sinken die Temperaturen. Zum Sonnenaufgang gegen sechs Uhr können sie mitunter auf zehn Grad fallen. Dafür verzaubert die Nacht mit einem unglaublich klaren Sternenhimmel. Vollmondaufgänge sind das größte Spektakel.

Der Cerrado macht seinem Namen alle Ehre und verwandelt sich in eine Savannenlandschaft. Die Gräser werden gelb und neulich hat es nachts großflächig gebrannt.

Den Äffchen unten am Bach, wo die Bäume das ganze Jahr über Wasser haben, macht die Trockenzeit gar nichts.

Und wir haben die Schönheit unserer Terasse auf dem Dach entdeckt.

Die Terasse

Das Auto wird zum Wohnmobil

Wie verwandelt man einen Geländewagen in ein Wohnmobil, ohne auf die vier Sitze zu verzichten? Wochenlanges Grübeln, ebensolange Planung und Learning by Doing sowie eine Woche Tüfteln haben schließlich zu einem Ergebnis geführt.

Der Wagen hat jetzt zwei Betten für maximal vier Personen und einen Hund. Kuschelig…

Spinnenalarm im Schlafzimmer

Von dem allgegenwärtigen Mückenproblem habe ich bereits ausführlich berichtet. Nun fängt auch noch die Zeckenzeit an. Letzten Samstag habe ich, wie bereits häufig zuvor, eine Abkürzung durch das hohe Gras des Cerrado genommen. Zuhause angekommen zwickt mich etwas ins Bein. Bei genauerem Hinsehen beißt mich eine winzige, gerade einmal einen Millimeter große Zecke. Nach weiterer Untersuchung meines Körpers musste ich insgesamt zehn dieser Blutsauger entfernen. Unseren Hund juckt das übrigens überhaupt nicht. Seine Fettschicht ist mit Repellent vollgepumpt.

Nun sollte man eigentlich allen Tieren huldigen, die sich um die Vernichtung der Parasiten verdient machen. Doch direkt neben dem Bett will man die Achtbeiner auch nicht gerade krabbeln sehen.

Gestern auf dem Condominiofest

Condominio Verde feiert

Einmal jährlich feiert das Condominio Verde ein Straßenfest. Es gibt Musik, Getränke, Essen und für die Kinder Kasperletheater mit Schlangen statt Räubern:

Zucker, Fett und Alkohol

Im Feinkostsupermarkt bekommt der Europäer alles, was er im Alltag vermisst. Zucker…

Fett…

Und Alkohol…

Das alles natürlich doppelt so teuer wie bei uns. Aber wer hat schon einmal von Eisenbahner Kölsch gehört?

Plastikpalmen und Parasiten

Nein, dieser Cerrado. Da gehe ich jeden Tag zweimal durch die Büsche und Sträucher und entdecke doch immer wieder Neues.

Als erstes präsentiere ich eine Parasitenpflanze, die einfach auf einem Baum andockt. Wenn man nicht genau hinsieht, erkennt man gar nicht, dass es sich auf diesen Bildern um zwei Pflanzen handelt:

Parasitenpflanze01Parsitenpflanze02

Dann haben wir noch einen seltenen Strauch, der an eine Glasfaserlampe erinnert:

Sylvesterraketenpflanze

Diese edle Raupe:

Caterpilar

Und zu guter Letzt noch eine Pflanze, die so tut, als sei sie aus Plastik:

Sonderbare Reaktion auf lokale Delikatessen

Ich sitze zusammen mit Fabio in einem Straßenrestaurant zum Mittagessen. Fabio hat mir dabei geholfen, eine Werkstatt für meinen Wagen zu finden und die notwendigen Reparaturen mit der Werkstatt abzusprechen.

Der Wirt bringt das Essen. Für mich gibt es vegetarische Beilagen: Reis, Bohnen, Möhren, Maniok. Das Gericht schmeckt intensiv nach brasilianischem Rind. Die Rinder sehen hier nicht nur durchweg anders aus als in Europa, sie riechen und schmecken auch anders. Selbst Milchprodukte haben diesen intensiven, leicht säuerlichen Geschmack, den ich nur schwer beschreiben kann. Bisher konnte ich mich damit nicht richtig anfreunden. Die Vorstellung, ein komplettes Glas Milch zu trinken, hat meinen Appetit bisher noch nicht zu Freudensprüngen verleitet.

Über den eigenwilligen Geschmack Brasiliens sinnierend esse ich weiter. Der Wirt bringt eine kleine Plastikflasche mit einer dicken, gelben Flüssigkeit. Fabio kippt davon reichlich über sein Essen. Da der Reis etwas trocken ist, mache ich es ihm nach. Dazu gibt es ein sehr süßes, kohlensäurehaltiges Getränk.

Der Wirt kommt an unseren Tisch und startet einen Smalltalk mit Fabio. Plötzlich beginnt mein Mageneingang schmerzhaft zu brennen. Irgendetwas erzeugt in meinem Magen einen immensen Druck. Ich versuche mit einem Schluck von der Limonade zu kontern, was jedoch den gegenteiligen Effekt erzeugt. Noch gerade rechtzeitig kann ich den Tisch verlassen. Hinter einem LKW spucke ich glibbrige, durchsichtig-schaumige Magenflüssigkeit aus. Abwechselnd kommen der Wirt und Fabio zu mir, um nach den Rechten zu fragen. Doch ich wiegele ab, brauche nur Zeit, damit der Schmerz vergeht.

Der LKW fährt weg, und damit verliere ich meine Deckung vor den anderen Gästen im Restaurant. Ich verziehe mich auf die Toilette und spucke noch 15 Minuten weiter. Das Essen selbst bleibt im Magen, nur die Magenflüssigkeit will raus. Dann endlich beruhigt sich mein Verdauungsapparat. Ich gehe zurück und entschuldige mich beim Wirt. Schnell hat man die Buttersauce, die gelbe Flüssigkeit in der Flasche, als Ursache identifiziert. Wir zahlen und gehen. Wenigstens muss ich nicht für mein Essen bezahlen.

Ich glaube, ich entwickle eine Laktoseintoleranz. Damit bin ich nicht allein, sondern gehöre zu den 43 % der europäisch-stämmigen Einwohnern dieses Landes, die das gleiche Schicksal teilen.

Brazil, where hearts were entertaining june

Sylvia und ich gehen durch die Savanne spazieren. Die Sonne brennt heiß und trocken. Faz muito calor. Da fällt mir das Lied ein, dessen Text ich Ende 2014 auswendig gelernt habe und das ich immer wieder morgens laut in meinen Helm schmetterte, während ich bei Minusgraden mit dem Motorrad zur Arbeit fuhr.

Ich fange an zu singen:
Brazil, where hearts were entertaining june
We stood beneath an amber moon
And softly murmured „someday soon“…

Sylvia breitet die Arme in Richtung des vertrocknenden Grases aus und fragt mich, ob ich mir Brasilien so vorgestellt habe.

Nein, sage ich. Ich habe mir gar nichts vorgestellt. Das ist meine Lehre aus unserer Reise nach Kirgistan: Es wird sowieso alles ganz anders, als man sich es vorstellt. Wenn man sich nichts vorstellt, kann man auch nicht enttäuscht werden, sondern nur überrascht werden.