Die Höhe, die Kälte, die Entfernungen, die Straßen und der Zeitdruck setzen uns zu

Diese Reise ist noch ein ganzes Stück weiter davon entfernt, erholsam zu sein, als der Ausflug in den Nordosten Brasiliens.

Da ist zunächst einmal die Höhe. La Paz, der Titicacasee, der Salar de Uyuni: Das alles liegt knapp unter 4.000 Höhenmetern. Bei den Fahrten durch das bolivianische Hochland gelangt man nie unter 3.600 Meter, im Gegenteil, man kreuzt mitunter Pässe, die auf über 4.500 Meter führen. Man sagt, der Körper würde sich mit der Zeit an die Höhe gewöhnen. Das ist eine Mär. In Wirklichkeit gewöhnt man sich an die Kopfschmerzen, die Atemnot, die geschwollenen Schleimhäute und den ständigen Durst. Die Höhenkrankheit trifft also nicht nur einige wenige Menschen, sondern bis auf die genetisch angepassten Tibetaner alle, auch die indigenen Völker Südamerikas. Die Folgen: Katja und Sylvia schmeißen die ganze Zeit Tabletten, und ich werde süchtig von Nasivin. Zudem müssen wir ständig pullern wie die Sextaner.

Selbst in der Nähe des Äquators wird es auf 4.000 Höhenmetern nachts empfindlich kalt. Wir campen mindestens jede zweite Nacht. Das bedeutet, die Abende sind kurz, die Nächte frostig und das Aufstehen bedarf Überwindung. Während im Norden Boliviens in dieser Jahreszeit noch Regen, Hagel und Schnee dazukommen, scheint im Süden des Landes tagsüber noch regelmäßig die Sonne und beschert uns immerhin fast T-Shirt-Wärme.

Die Entfernungen haben wir komplett unterschätzt. 1.500 Kilometer in zwei Wochen auf Landstraßen zu fahren, die teilweise nicht geteert sind, bedeutet, dass man fast jeden Tag unterwegs ist. Für Erholung bleibt dabei nicht viel Zeit.

Die Schotter- und Erdpisten zerstören auf Dauer unser Auto. Wir haben das hintere Gummi verloren, das den Auspuff am Wagen hält. Die improvisierte Notlösung aus Schlauchschellen und Kabelbindern hält das Rohr zwar in Position, macht aber bei jedem Schlagloch und bei jeder Bodenwelle ein fieses metallisches Geräusch. Zudem funktioniert der Motor der Heckscheibe nur noch sporadisch, wir können die Heckklappe also nur noch öffnen, wenn der Gott der Fensterheber uns wohlgesonnen ist. Die Alternativlösung, das Be- und Entladen von innen, ist umständlich und kräftezehrend.

Am Ende steht noch unser enger Zeitplan der Erholung entgegen. Sylvia muss am Sonntag, den 08. November von Santa Cruz zurück nach Brasilia fliegen, und Katja muss ihren Rückflug am Samstag, den 16. November von Brasilia aus antreten. Für Katja und mich liegen zwischen Santa Cruz und Brasilia noch circa 2.000 Kilometer, davon 600 Kilometer Schotterstrecke bis zur Grenze. Wenn alles gut geht, schaffen wir das in vier Tagen.

All diese Faktoren lassen die Stimmung nicht sonderlich in die Höhe steigen. Besonders ich bin mit den Nerven ziemlich runter. Die viele Fahrerei bereits im Vorfeld sowie die Sorge um das Auto lassen mich in einer anderen Dimension reisen. Ich bin jetzt bei circa 12.000 Kilometern in acht Wochen auf zum Teil sehr schlechten Straßen angelangt. So etwas mache ich nieeeeeee wieder.

Auf der Fahrt zum Salar de Uyuni

Nach dem Bergabenteuer am Huyana Potosi fuhren wir noch am selben Tag auf der Andenautobahn in Richtung Salar de Uyuni, dem größten ausgetrockneten Salzsee der Welt. Bevor es dunkel wurde, suchten wir uns einen Standplatz auf einem ehemaligen Acker.

Gegen Vormittag des Folgetages erreichten wir die einstige Bergarbeiterstadt Oruro. Die Damen waren der Meinung, der Wagen benötige eine Vollwäsche. Schade, ich fand die Patina unsers Gefährts just sehr ansprechend, zeugte sie doch von Abenteuer und wilden Offroad-Fahrten.

Doch schon bald hatten wir die Gelegenheit, dem Wagen sein gebührendes Äußeres zurückzugeben. Auf der Suche nach dem Ufer eines riesigen Sees südlich von Oruro blieben wir noch weit außerhalb der Sichtweite des Wassers im Schlick stecken.

Wir suchten uns einen Nachtplatz in der steppenartigen, 15 Kilometer breiten Uferzone und aßen zu Abend.

Am nächsten Tag fuhren wir dann durch eine bizarre Steppenlandschaft in Richtung eines 5.400 Meter hohen Vulkans, umrundeten ihn und gelangten zum Salar de Uyuni.

Huyana Potosi

Der 6.083 Meter hohe Huyana Potosi liegt nur 25 Kilometer nördlich von La Paz. Man erreicht ihn, indem man El Alto, einen Vorort der Stadt, durchquert und auf den Zonga-Pass fährt, der auf eine Höhe von 4.800 Meter führt.

Dort quartierten wir uns in eine Hütte ein, die für viele Bergsteiger als Ausgangspunkt für die Besteigung dient.

Da Sylvia und Katja nicht auf den Berg wollten bzw. konnten, war mein grober Plan, mich einer Gruppe von Bergsteigern anzuschließen. Tatsächlich trafen wir auf der Hütte vier junge Franzosen, die am Folgetag Richtung Gipfel aufbrechen wollten. Sie hätten mich auch mitgenommen, allerdings hatten sie in La Paz zwei Bergführer angeheuert und deren Richtlinie war, nur jeweils zwei Personen auf einmal zum Gipfel zu führen. Zudem sollte die Tour von etwas weniger als 1.300 Höhenmeter über zwei Tage dauern: Am ersten Tag nachtmittags circa drei Stunden bis zu einer weiteren Hütte auf 5.130 Höhenmeter und dann am Folgetag ab Mitternacht den Rest auf den Gipfel und wieder hinunter bis zum Zonga-Pass. Dieses Vorgehen machte insofern Sinn, da es um diese Jahreszeit nur ganz früh morgens freie Sicht gab. Ab frühen Vormittag hüllte sich der Berg in eine dicke Wolkenschicht.

Meine Gipfelpläne waren also dahin, denn alleine ohne eine Seilschaft wollte ich nicht über Gletscherspalten gehen. Ohne angeseilt zu sein, kann eine nicht tragende Schneebrücke über eine Spalte einen Bergbegeisterten schnell zur Geschichte werden lassen. Doch einmal auf einer Ausgangshöhe von 4.800 Metern wollte ich wenigsten die 5000er-Grenze knacken – eine noch offene Rechnung aus einer nicht vollendeten Bergbesteigung in Kirgistan.

Also brach ich nach einer Nacht im Bettenlager auf der Hütte morgens gegen 8.30 Uhr mit dem Hund in Richtung der zweiten Hütte auf 5.130 Höhenmeter auf, während Sylvia und Katja auf der Hütte am Pass zurückblieben. Ich erreichte die zweite Hütte über einen schneefreien Aufstieg über mehrere Geröllhalden bereits nach eineinhalb Stunden.

Base-Camp für die Gipfelbesteigung

Da es noch früh und ich guter Dinge war, ging ich bis 11.30 Uhr noch weiter über ein Schneefeld auf über 5.500 Meter, immer in der Hoffnung, dass der Nebel aufreißt und den Blick auf den Gipfel und ins Tal freigibt. Doch alles, was ich zu sehen bekam, sah so aus:

Blick vom Huyana Potosi ins Tal

Da ich mich bereits auf dem Gletscher befand und ich von der Höhenluft ziemlich kaputt war, kehrte ich um und erreichte unseren Ausgangspunkt am Pass gegen 13.00 Uhr.

Obwohl ich auf meinem Ausflug nicht ein einziges Mal die Sonne gesehen hatte und den größten Teil im Nebel gelaufen war, blieben mir als Andenken eine verbrannte Unterlippe und ein Sonnenbrand auf der Zunge. Auf der Zunge!

Titicacasee

Der Titicacasee war schöner als erwartet. Gedacht waren nach den zwei Tagen in La Paz zwei weitere Tage Akklimatisierung an die Höhe von fast 4.000 Metern. Wir fanden auch einen recht schönen Standplatz direkt am südlichen Teil des Sees.

Meine Standplätze

Auf dem Weg dorthin führte uns der Reiseführer zu den Ausgrabungen eines alten Inkavolkes. Ähnlich wie beim Tanken wird auch bei Touristen davon ausgegangen, dass Ausländer steinreich sind. Doch ist das nicht auch eine Form von Diskriminierung, wenn man ganz offiziell den achtfachen Preis zahlen muss?

Der Reiseführer zog uns weiter Richtung Norden den See entlang zu dem Ferienort Copacabana, welcher auf einer Halbinsel lag, der zur Hälfte bereits zu Peru gehörte. Um ihn von bolivianischer Seite zu erreichen, mussten wir mit einer Fähre übersetzen.

Die Halbinsel sowie der Blick auf den See waren wunderschön.

Der Ort, in dem wir zwei weitere Nächte in einem Hotel blieben, hatte hingegen alles, was das Herz des engagierten Touristen höher schlagen lässt: lustlose Hoteliers, Souvenirläden, Szenekneipen für Fernreisende und Tretbote.

 

Der Friede sei mit dir

Drei FreiheitskämpferInnen in La Paz:

Simon Bolivar, Rosa Luxemburg und Jeanne d'Arc

La Paz, der Regierungssitz von Bolivien:

Geduldige Menschen, Nahverkehrsmittel und ein seltsamer Brauch, bei dem getrocknete Lama-Embrios verbrannt, zermahlen und im Haus verbaut werden, um Glück zu bringen:

Das Auto steht mal wieder in der Werkstatt. Ein Kreuzgelenk vom Kardan ist hinüber. Morgen soll es fertig sein. Dann geht’s weiter zum Titicacasee.

An die 1.000 Kilometer Hoppelstrecke und dann am Ende eine 4-spurige Autobahn

4-spurige Autobahn auf 4000 Metern

Die letzten 200 Kilometer auf meiner 7-tägigen Reise nach La Paz wurde ich mit einer 4-spurigen Autobahn auf der auf 4.000 Höhenmetern gelegenen Hochebene zwischen Oruro und La Paz  belohnt.

Die Nacht zuvor hatte ich auf 4.000 Höhenmetern hinter Cochabamba übernachtet. Es war sehr kalt und es hatte die ganze Nacht geregnet. Das Dachzelt war glücklicherweise vollkommen wasserdicht. Ich brach im klammen Frühtau auf und machte gegen frühen Vormittag eine Frühstückspause, um das Zelt und die Decken zu trocknen.

Ich bin in den letzten Tagen so viel gefahren, dass mein Geist noch irgendwo auf der Strecke im Andenhochland unterwegs ist, während mein Körper schon im Hotelbettchen in La Paz liegt. Sylvia und Katja sind auch schon hier, von der Reise und vom Jetlack jedoch schon ins Koma gefallen.

Hier ein Link zu der Strecke, die ich gefahren bin. Für die Hälfte der Strecke bis zur bolivianischen Grenze habe ich zwei Tage benötigt. Für die zweite Hälfte durch Bolivien habe ich fünf Tage gebraucht, und ich habe nicht gebummelt.

Ich lade euch ein, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen und einen Teil mitzufahren. Ihr seht dann das, was ich auch gesehen habe, nur viel kleiner.

Die Straße zwischen Santa Cruz und Cochabamba, die ich gefahren bin, bestand größtenteils aus Schotterpiste und wurde an mehreren Stellen erweitert und von Erdrutschen befreit. Die Baustellen waren teilweise für mehrere Stunden nicht befahrbar, so dass ich lange Wartezeiten hatte. Wenn man dann durch durfte, so das so aus:

Auf den Pässen war häufig viel Bohei. Ganze Märkte wurden abgehalten und Fahrzeuge gewechselt. In Bolivien sieht man auf den Landstraßen kam Privatfahrzeuge. Die meisten Autos sind Kleinbusse und Taxis.

Ein der bisher eindrucksvollsten Streckenabschnitte war die Fahrt über einen 4.500 Meter hohen Pass, der in die Hochebene von Oruro und La Paz führte. Hier ein relativ großer Ausschnitt, der sich auch gut zum Einschlafen eignet:

Zum Schluss noch ein Beispiel, was passiert, wenn man vergisst, die Kamera auszumachen:

Wer konnte das Anden?

Der Tag begann mit der Suche nach einem Reifenhändler. Mit Unterstützung von Sylvia per Telekooperation fand ich über das Internet eine recht vielversprechende Werkstatt. Dort angekommen fühlte ich mich fast wie in Deutschland. Alles pikobello sauber, modernste Arbeitsgeräte und Werkzeug sowie ein äußerst aufgeräumtes Büro. Ich ging davon aus, dass auch der Preis auf deutschem Niveau sein würde. Ein Reifen für den Toyota ist in Deutschland für circa 400 Euro zu haben. Doch was bietet mir der freundliche Verkäufer an? Michelin-Reifen für 160 Dollar das Stück inkl. Montage. Für vier neue Reifen habe ich also umgerechnet 600 Euro statt 1.600 Euro bezahlt.

Nach der Montage fuhr ich noch zum Tanken. Das ist hier übrigens für ausländische Fahrzeuge mit etwas Aufwand verbunden. Da mein Wagen ein brasilianisches Kennzeichen hat, muss ich einen so genannten internationalen Preis bezahlen. Der liegt offenbar ein Drittel höher als der nationale Preis, jedoch immer noch bei umgerechnet circa einem Euro.

Dann machte ich mich auf den Weg nach Cochabamba und La Paz. Durch dicht besiedeltes Gebiet ging es langsam bergauf. Es folgte ein Tal mit steilen Hängen, und es ging zügig bergauf. Auf 1.700 Metern machte ich vorsichtig das Autofenster auf, und siehe da: Es war nicht mehr heiß. Der Hund und ich stiegen aus und machten einen Freudentanz. Nach vier Tagen Schweiß und Staub endlich angenehme Temperaturen und keine Klimaanlage mehr.

Auf der Weiterfahrt durch die Berge kamen mir mehrfach die Tränen in die Augen. Es ist unglaublich, wie schön es in den Anden ist. Im Kontrast zu dem heißen, feuchten und vermückten Pantanal kann der Anblick von bergigem Hochland emotionale Ausuferungen hervorrufen.

Trotz Asphaltstraße kam ich wegen der vielen Kurven nur langsam voran. Hinter einem kleinen Dorf musste ich an einer Straßensperre halten. Wegen Bauarbeiten war die Durchfahrt zeitlich begrenzt, so dass ich zwei Stunden warten musste. Bis dahin war ich gerade einmal 250 Kilometer weit gekommen.

Ich suchte in der Gegend einen Standplatz für die Nacht, fand aber nichts Adäquates. Daher beschloss ich, das Zeitfenster um 18.30 Uhr zu nutzen und weiterzufahren. Kurz hinter der Baustelle bog ich dann in einen Seitenweg ab und fand einen wunderschönen Platz für die Nacht. Kurz nachdem ich das Zelt aufgebaut hatte, kam ein Auto vorbei. Es hielt an und die indigene Beifahrerin machte ihr Fenster auf. Ich fragte, ob ich die Nacht an der Stelle campen dürfte, und sie antwortete freundlich: „Ja, kein Problem.“ Es fällt sehr auf, wie viele Menschen in den Anden von den Indianern abstammen. Und es fällt auch auf, dass diese Menschen einen glücklichen und überaus freundlichen Eindruck machen. Kein Wunder, wenn man in einer so schönen Umgebung wohnt.

Der Standplatz lag auf 2.500 Metern. Die Nacht war so kühl, dass ich mich in die Winterdecke einmümmeln musste. Ich war glücklich.

Che Guevara, altes Haus, mit deinen Träumen ist es aus

Es muss irgendwo in dem Dschungel, den ich heute durchkreuzt habe, gewesen sein, wo Ernesto Guevara 1966 bis 1967 versucht hat, mit 44 Kämpfern die Stimmung im Land gegen die Regierung zu kippen und eine Revolution anzuzetteln. Er scheiterte an dem Unwillen der Bauern und Bergarbeiter, an der Gegenwehr des Militärs und an seiner Asthma-Erkrankung. Was will man auch in einem Land, das nachts noch 30 Grad bei 60% relativer Luftfeuchte hat und das man nur mit Klimaanlage ertragen kann?

Ich bin jetzt in einem Hotel in Santa Cruz de la Sierra, mit knapp 1,5 Millionen Einwohnern die größte Stadt Boliviens. Neben dem Boliviano ist der amerikanische Dollar offizielles Währungsmittel, das man auch an Geldautomaten beziehen kann. Hätte Che Erfolg gehabt, wäre das Land wahrscheinlich heute genauso arm, jedoch mit einem funktionierenden Gesundheits- und Bildungssystem.

Doch eigentlich weiß ich viel zu wenig über das Land. Was ich jedoch am eigenen Leib erfahren durfte, ist der Zustand der Straßen in dessen Ostteil. Knapp 700 Kilometer bin ich gestern und heute auf Schotter- und Erdpisten gebraust. Dabei sind mir gerade einmal an die 30 Fahrzeuge, Mopeds, Busse, Autos und LKWs, entgegen gekommen. Erst 90 Kilometer vor Santa Cruz bog ich auf eine asphaltierte Straße, die etwas höher frequentiert war.

Der Tag fing an mit der Reparatur des defekten Ölschlauchs. Ich habe keine Fotos von den Coca-Blättern kauenden, teilweise fast zahnlosen Mechanikern gemacht, bei denen ich übernachtet habe. Dafür aber von ihrem Tätigkeitsfeld:

Der jüngste der Schrauber half mir bei der Reparatur und begleitete mich auch zur Immigrationsbehörde, wo ich den Immigrationsstempel in meinem Pass bekam. Jetzt habe ich alle offiziellen Unterlagen beisammen. Dann verabschiedete ich mich und hoppelte zunächst auf einer groben Kiesstraße weiter Richtung Westen. Dabei sah ich sonderbare Fahrzeuge sowie eine sehr eigentümliche Art der Beschäftigungstherapie, dem Schneiden des Grases neben der Fahrbahn mit Macheten. Was für eine Sisyphos-Arbeit.

Auf der dann folgenden kurvigen Dschungelpiste bekam ich sogar so etwas wie Fahrspaß und ließ den Toyota ein wenig fliegen.

Mein Fahrspaß wurde dann klassisch mit einem kaputten Reifen belohnt. Allerdings war nicht meine Fahrweise Grund für den Ausfall, sondern eine gemeine Schraube, die sich in das Gummi gebohrt hatte. Den Platten habe ich dann auf dem schwammigen Untergrund erst bemerkt, als der Reifen schon völlig zerstört war. Die Reifen waren eh schon ziemlich runter. Ich wollte sie erst nach meiner Rückkehr nach Brasilien wechseln. Jetzt muss ich morgen in Santa Cruz auch noch neue Reifen besorgen, wenn ich weiterhin einen funktionierenden Ersatzreifen haben will. Und den will ich haben.

Zum Abschluss noch zwei Videos von einem Überholvorgang, bei dem man tiefes Vertrauen in die geringe Verkehrsdichte und das Ausbleiben des Gegenverkehrs benötigt, sowie von einer der vielen „Zeitmessungen“ bei den unterschiedlichen Fahrprüfungsabschnitten.

Mein erster Tag in Bolivien

Ich sitze mit zwei von drei Autoschraubern in einer Schrauber-WG in einem kleinen Örtchen namens San Ignacio de Velasco 300 Kilometer hinter der Grenze im wilden Bolivien und schaue Fernsehen. Wahrscheinlich sind sie gar keine WG, sondern Vater, Sohn und Onkel. Draußen ist es dunkel. Die Lehmstraßen des Städtchens stauben vor sich hin. Der Toyota steht zwischen mehreren schrottreifen Fahrzeugen auf dem Hinterhof mit aufgebautem Dachzelt. Gleich gehe ich schlafen. Was ist passiert?

Der Tag fing circa 100 Kilometer vor der bolivianischen Grenze in der brasilianischen Stadt Caceres an. Ich verließ das Hotel und folgte der BR-070 – derzeit meine Lieblingsstraße in Brasilien – bis zur Grenze auf einer perfekt ausgebauten Asphaltstraße. Der Verkehr war quasi Null, und der Grenzübergang war supereinfach. Weder auf brasilianischer noch auf bolivianischer Seite gab es Komplikationen, so dass ich innerhalb von 20 Minuten durch war. In der ersten bolivianischen Stadt namens San Martins direkt hinter der Grenze tauschte ich Geld und tankte den Wagen auf. Ich fragte die Tankwärtin, wann die nächste Tankstelle käme, und sie antwortete: In 400 Kilometern. Oops, das habe ich das letzte Mal in Kasachstan erlebt. Dann brach ich weiter Richtung Westen auf.

Drei Dinge fielen mir in diesem Land sofort auf:

  1. Während die Straße in Brasilien viel besser war, als beschrieben, war die Straße in Bolivien absolut erwartungskonform: Eine schlecht gewartete Erd- und Schotterpiste, auf der man 50 bis 80 km/h fahren konnte.
  2. Die Leute sprechen alle Spanisch. Spanisch verstehe ich noch schlechter als Portugiesisch.
  3. Während ich in Brasilien bisher genau drei Mal meinen Pass vorzeigen musste – bei der Einreise, bei meiner Übernachtung auf einem improvisierten Fußballfeld während meiner Reise nach Fortaleza und bei der heutigen Ausreise – , musste ich mich in den ersten vier Stunden in Bolivien an sechs Straßensperren des Militärs und an einer Polizeisperre ausweisen. Was für ein Kontrollstaat!

Bei jeder Militärsperre wurden mein Name, mein Fahrzeug inklusive Nummernschild sowie mein Reiseziel handschriftlich in extra dafür vorgesehene Bücher eingetragen. Ich war fast immer der einzige an den Sperren. Viel Verkehr konnte es hier nicht geben. Bei der Polizeisperre, ganze 250 Kilometer hinter der Grenze, wurde ich von einem Polizisten darüber aufgeklärt, dass ich eine „Declaracion Judical“ für mein Auto bräuchte, und er zeigte mir, wo ich dieses Dokument bekäme, nämlich fünf Häuser weiter die Straße hinunter. Für diesen Service wollte er mit einem freundlichen aber fordernden Lächeln im Gesicht 50 Bolivianos haben, umgerechnet circa sechs Euro. Ok, es gibt in Bolivien also korrupte Bullen.

Der Offizielle bei der Vergabe der Deklaration war äußerst freundlich und korrekt. Ich bekam von ihm ein Dokument, mit dem mein Auto für 30 Tage in Bolivien bleiben darf. Dieser Service kostete übrigens nichts. Auf für die Information, dass ich noch eine Immigrationsstempel in meinem Pass bräuchte, wollte der Beamte kein Geld. Den Stempel würde ich genau in der Stadt bekommen, in der ich jetzt mit den Schraubern vorm Fernseher sitze.

Kurz bevor ich die Stadt erreichte, hielt mich ein LKW-Fahrer auf der Straße an und fragte mich, ob ich ihn bis zur nächsten Tankstelle mitnehmen könnte. Ich willigte ein. An der Tankstelle am Eingang der Stadt fiel ihm beim Aussteigen auf, dass ziemlich viel Öl aus meinem Motor tropfte. Das Öl kam aus einer undichten Ölleitung unterhalb des Turbos. Hmpf. Ich sollte mich daran gewöhnen, dass schlechte Straßen Autos kaputt machen, besonders alte Autos.

Eine Selbstreparatur war ausgeschlossen, da ich ein neues Stück Ölleitung brauchte. Außerdem muss man Masochist sein, wenn man gerne an heißen Motoren herumfummelt. Da es schon dunkel wurde, beschloss ich, in die Stadt zu fahren und mich nach einer Werkstatt durchzufragen. Und dort sitze ich nun in der Schrauber-WG, die mir angeboten hat, den Wagen die Nacht über abkühlen zu lassen, mich in ihrem Bad zu duschen und auf dem Hof zu schlafen. Ich besorgte den Jungs Bier und mir eine bolivianische SIM-Karte. Und jetzt gehe ich ins Dachzelt. Morgen sehen wir weiter. Buenas notes, amigos!

Völlig erledigt an der bolivianischen Grenze

Heute morgen bin ich gut gelaunt von meinem Ameisenbär-Standplatz aufgebrochen. Solche Orte findet man in Brasilien unglaublich selten, obwohl es von Natur nur so wimmelt. Wie bereits berichtet wird die Natur in diesem Land hinter Zäunen und Toren gefangen gehalten. Es gibt weder Wälder, Wiesen oder Gewässer, die frei zugänglich sind. Alles ist privat oder zugangsbeschränkter Park oder Nationalpark. Wäre ich hier Unternehmer, würde ich Stacheldrahtzaun herstellen. Der Bedarf an diesem Produkt wird in Brasilien wahrscheinlich nie ausgehen. Einzig auf den Flächen der industriellen Landwirtschaft, die hauptsächlich auf den wenig bewohnten Hochflächen gelegen sind, findet man so etwas wie Bewegungsfreiheit.

12 Stunden Autofahrt und 850 Kilometer später hänge ich in einem Hotel in Caceres, kurz vor der bolivianischen Grenze. Was ist zwischendurch passiert? Nun, es gibt eine kurze und einfache Antwort:

Ein ganzer Tag geradeaus

Ich wünschte, mein Leben wäre so straight verlaufen wie die Straßen in Brasilien. Neben der eintönigen Geradeausfahrt gab es kleine „Highlights“ wie das folgende Beispiel, warum ich in Brasilien nicht Bus fahren würde. Auf dem steilen Bergabstück ist die Geschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt. Die LKWs schleichen mit Motorbremse den Berg hinab, und der Bus fährt stellenweise mit über 100 km/h, so dass ich kaum mithalten kann. Busreisende sind die wahren Mutigen.

Das Pantanal, ein riesiges Sumpfgebiet im Westen von Brasilien, empfing mich mit Regen, ein Wetterphänomen, das man erst nach sechs Monaten Trockenzeit schätzen lernt.

Auf der Suche nach einem Standplatz für die Nacht scheiterte ich einmal wieder an den unzähligen kleinen eingezäunten Fazendas, die selbst die letzte kaum noch befahrbare Seitenstraße komplett säumten. Dank booking.com konnte ich Polizisten in der Nacht sowie vermückte, verschwitzte und stinkende Notstandplätze an Fernfahrertankstellen vermeiden, und durfte in einem klimatisierten Hotelzimmer das WLAN nutzen.

Kaputt in Caceres